Brügge (120.000 Einwohner), die Hauptstadt der Provinz Westflandern, bildet den touristischen Höhepunkt Belgiens. Sie fiel im Spätmittelalter in einen „Dornröschenschlaf“ und erlangte erst Ende des 19. Jh. den wirtschaftlichen Anschluss an die moderne Zeit.
Der Bau des Brügge-Zeebrügge-Kanals (Boudewijn-Kanaal, 1895-1907) ging mit einer Wirtschaftsförderung einher und neue Industriezweige siedelten sich am Kanal an. Es gibt Baumwoll-, Möbel- und Stahlindustrie, Brauereien, Hefe- und Geneverherstellung, Spitzenklöppelei, Chemie und Elektrotechnik. Auch der Dienstleistungssektor spielt eine wichtige Rolle.
Neuzeitliche Anpassungen der Infrastruktur und der Architektur gingen an der Innenstadt vorüber. Dadurch blieb das fast vollständig mittelalterliches Bild einer von Grachten durchzogenen Altstadt mit zahlreichen Backsteinbauten. Das „Venedig des Nordens“ verfügt über ein verzweigtes Kanalsystem, das aus den Flüssen Leie und Dijver gespeist wird.
Den Hauptwirtschaftszweig bildet der Tourismus – die Altstadt gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO – und europaweit ist Brügge als Kunststadt bekannt.
Im 7. Jh. legten Wikinger hier einen Einschiffungsplatz („bruggja“) an, welcher zum Schutz gegen die Normannen dienen sollte. 200 Jahre später errichtete Balduin, auch bekannt als Eisenarm und erster Graf von Flandern, eine Burg, in deren Schutz sich eine schnell aufblühende Siedlung entwickelte.
Brügge war ein idealer Hafenstandort. Es war direkt mit der Nordsee verbunden durch den Zwin, einen ins Binnenland ragenden Meeresarm, und einen Naturhafen in geschützter Lage bildete. Zudem lag es am Flüsschen Reie, das Brügge mit dem Hinterland verband.
Anfang des 12. Jh. zählte die Stadt bereits 10.000 Einwohner. Wenig später avancierte sie zum Haupt der flandrischen Hanse. In dieser Zeit entwickelte sich Brügge zum Welthandelszentrum. Es bildete das Bindeglied zwischen dem Ostseehandel und der deutschen Hanse, dem äußert lukrativen Handel mit englischer Wolle (fast Monopolstellung) und der weltweit dominierenden venezianischen Handelsmacht. Kaufleute aus der gesamten, damals bekannten Welt führten Niederlassungen in der flämischen Metropole.
Diese wirtschaftliche Machtstellung wirkte sich nicht nur auf den Reichtum und die Lebensart der selbstbewussten Kaufleute aus. Sie führte außerdem zu einem regen Kunst- und Kulturgeschehen in der Stadt. Adelshochzeiten wurden hierher verlegt, und es entstanden prächtige Bürgerhäuser, kunstvolle Innenausstattungen und zahlreiche, von den Städtern in Auftrag gegebene Malereien. Künstler wie Jan van Eyck und Hans Memling wurden als Stadtmaler beschäftigt.
Wie der rebellische Nachbar Gent zeigten sich auch die Brügger aufmüpfig gegenüber wechselnden Herrschaften. So wurde im Jahre 1302 der französische Statthalter de Chatillon wegen seiner gewaltsamen Unterdrückungspolitik von aufgebrachten Bürgern unter Führung von Pieter de Coninck und Jan Breydel umgebracht – und mit ihm 1.400 weitere Franzosen („Brügger Frühmette“). Als Reaktion darauf marschierte das französische Ritterheer in Flandern ein, das in der Schlacht bei Kortrijk vernichtend geschlagen wurde („Schlacht der goldenen Sporen“). Die Brügger Kämpfer wurden dabei von Kontingenten aus Gent und Ypern unterstützt und sicherten mit diesem überragenden Sieg vorläufig die Unabhängigkeit der flämischen Städte.
Doch die fetten Jahre der Stadt waren gezählt: Der Zwin, um 1200 noch ca. 6 km breit, verschlammte und versandete langsam. Zunächst schwemmte die Reie eine Rinne frei und das Örtchen Damme wurde zum Vorhafen von Brügge. Hier lud man von den größeren Seeschiffen auf kleinere Flussschiffe um. Aber bereits Mitte des 14. Jh. war auch Damme nur noch mit Mühe zu erreichen, was den wirtschaftlichen Niedergang der Stadt einläutete. Als die Fugger um 1500 ihre Faktorei ins aufstrebende Antwerpen verlegten und die anderen Kaufleute folgten, bedeutete dies den endgültigen Todesstoß für die einst so mächtige und reiche Handelsmetropole. Für fast 400 Jahre fiel die Stadt in einen „Dornröschenschlaf“.
Vorsichtig wiedererweckt wurde sie durch die Verbreitung eines Buches aus dem Jahre 1892. Georges Rodenbach beschrieb in seinem düster-melancholischen Roman „Bruges-la-mortes“ (dt. Das tote Brügge) die Stadt mit ihren verfallenen Fassaden und verlassenen Patrizierhäusern. Zuerst in Frankreich und England bekannt, wurden später auch in Deutschland die ersten reiselustigen Touristen auf die belgische Stadt aufmerksam. Damit war für Brügge der Grundstein für den heute wichtigsten Wirtschaftszweig Tourismus gelegt.
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